Vortrag zur Austellung Wien 2008
Rudolf Katzer

Am glücklichsten ist Benedetto Fellin, wenn die Betrachtenden ihre eigenen Geschichten zu seinen Bildschöpfungen erfinden. Folglich erhebt er auch keinesfalls den Anspruch, dass individuelle Betrachtungsweisen mit den seinen überein zu stimmen hätten. So ergeben sich oft Interpretationen, die Benedettos Hang zum Phantastischen an Einfallsreichtum um nichts nachstehen. So erhält der Maler manchmal eine Beschreibung seiner Bilder, die ihm selber Rückschlüsse auf sein eigenes Befinden gestatten.

Einer der Wege der Malerei führt auch jetzt zur Welterkundung mit Mitteln realistischer Darstellungsweisen in der Malerei, die nach einer über fünfhundertjährigen Geschichte mitnichten zu Ende ist, aber nun anders aussieht als zuvor. Wir haben nicht dieselben Erfahrungen und Spekulationen, die einst einen DaVinci, Dürer oder Grünewald bewegten. Aber die kosmischen Vorstellungen und symbolischen Formen wie zum Beispiel in der Romantik, sind auch Inspirationsquellen der Moderne.

Ansichten, Weltanschauungen haben sich seither verändert. Die impressionistischen Landschaftsausflüge und Landpartien sind heute wohl kaum wiederholbar. Doch ungeachtet dessen, haben die Weltbilder und Vorstellungen vergangener Zeitperioden ein Potential an „Überzeitlichkeit“, also Qualitäten, die über den Zeitpunkt ihrer Entstehung hinausreichen. Solange sie mit einem Teil ihrer Formen, mit einem Teil ihrer Bedeutungen gegenwärtig bleiben, ist die Malerei, die sie repräsentieren, nicht zu Ende. Auch wenn diese Tradition abgebrochen ist.

Die Gleichberechtigung der verschiedensten Ausdrucksformen in der Kunst ist anzusagen – stärker denn je, solange/sofern es sie noch nicht gibt.

Wer sich in unserer Zeit als Maler auf Realismus einlässt, steht auf den „Schultern von Riesen“. Der Ort ist unbequem, er erfordert akrobatische Geschicklichkeit, aber es mag sein, dass man von dort aus wirklich weit sieht.

1998 in Meran stellte Benedetto Fellin (anlässlich der Eröffnung seiner Ausstellung) die Frage  der Sinnhaftigkeit gegenständlicher Malerei gegen Ende des 20. Jahrhunderts und hob den Unterschied  zum Fotorealismus hervor.
Für die Erfassung von Inhalten brauchen wir heute keine gemalten Bildgeschichten mehr. Heute können die meisten Leute lesen und außerdem leistet die Fotografie das Festhalten von äußeren Formen billiger und scheinbar unverfälschter.

Im Surrealismus und in der Neuen Sachlichkeit wird der Bezug zur Gegenständlichkeit zum Mittel, um völlig neue Aussagen zu treffen. Von Salvadore Dali und Otto Dix bis zum Wiener Phantasten Rudolf Hausner und dem amerikanischen Naturalisten Andrew Wyeth spinnt sich der rote Faden des Realismus bis in die heutige Zeit.
Dabei geht es nicht darum, diese Maler an der Könnerschaft alter Meister zu messen. Die genannten Realisten zeigen einen sehr individuellen Zugang zu ihren Inhalten losgelöst von Konventionen. Sie führten und führen zu einer künstlerischen Erneuerung und Faszination – ohne die weder Galerien noch Posterindustrie und Kunstbücher auskommen wollen.

Die Inhalte der Bilder Benedetto Fellins haben mit denen der alten Meister in den seltensten Fällen etwas gemeinsam. Aber wie damals und immer schon stellen diese Bilder einen Bezug zur Gegenwart her. Und wie damals und immer schon rühren sie an die Sinnlichkeit des Gegenständlichen durch die phantasievolle Montage der unterschiedlichsten Dinge. Die Anwendung alttraditioneller Maltechniken ist ein zeitintensiver Vorgang und für Benedetto Fellin ist es stiller Protest, Protest des „Prinzips der Langsamkeit“ gegen die Schnelllebigkeit unserer Zeit.